Beschreibung
Walter Benjamin rechnete Christoph Theodor Schwabs Hölderlin-Arbeit zu »den großen gründenden Dichterbiografien«. Sie erschien erstmals im Herbst 1846 im zweiten Bande der »Sämmtlichen Werke« Hölderlins und später in der Ausgabe der »ausgewählten Werke« von 1874.
Christoph Theodor Schwab (1821 – 1883) – der die Rede bei der Bestattung Hölderlins am 10. Juni 1843 hielt, – war der Sohn Gustav Schwabs, der der Nachwelt bis heute mit seinen Werken »Schönste Sagen des klassischen Altertums« und »Deutsche Heldensagen« vertraut ist. Er studierte (wie Hölderlin) im Tübinger Stift und besuchte den greisen Dichter in etwas mehr als zwei Jahren von 1841 bis zum Tode Hölderlins mehrmals. Der kranke, »wahnsinnige« Dichter verbrachte die letzten 36 Lebensjahre in der Obhut des Schreinermeisters Ernst Zimmer in Tübingen, nachdem er im Sommer 1807 als unheilbar aus dem Klinikum Autenrieths entlassen wurde und der Arzt ihm »höchstens noch drei Jahre« geben wollte. Hölderlin war damals 37 Jahre alt, ferne davon, der »greise Dichter im Turm« zu sein.
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Werner Schauer
Aus dem Nachwort
»Unser Christoph hat gegenwärtig eine Liebhaberei in Tüb(ingen), für welche ich mich auch interessire, er hat mit Hölderlin Freundschaft geschlossen u. dieser scheint wirklich auch an ihm Interesse zu nehmen«, berichtet Christoph Theodor Schwabs Mutter Sophie am 24. Januar 1841 Justinus Kerner. Es war dies der Beginn einer intensiven Beschäftigung Schwabs, dem der Vater die ersten Anregungen praktisch mit in die Wiege gelegt hatte. Intime Hölderlinkenntnisse prägten das jeu perlé einer Familienprosa, die immer wieder mit dem Thema Hölderlin befaßt war. »Wenigstens«, schreibt Sophie Schwab im Brief, hat ihr Sohn Hölderlin »weiter gebracht als es Andern gelungen ist.« Hölderlin habe auf seine Aufforderung schon einige Gedichte gemacht, die die Neugier der Mutter anregen: »Ich bin sehr begierig, bis ich diese Gedichte auch sehe.« Weiter liest man: »C(hristoph) erzählte mir, wenn er so bei ihm sey, da sage er oft vor sich hin, das ist einmal einer der mich versteht, – wenn er dies nun in seinem Wahnsinn glaubt, so kann ich mir auch ganz denken, wie er eher ein Gedicht zu Stande bringt. Es ist mir lieb, daß Christoph wohl schon von Hölderlin, aber noch nichts über ihn gelesen hat, so konnte er ihn unbefangener beobachten. (…) Das wollte ich noch vorhin sagen, wie herrlich, daß man also bei Hölderlin sieht, auch nach 40 Jahren des verfinstertsten Wahnsinns ist der Geist noch vorhanden u. thut sich nach so langer Zeit kund. Liegt nicht ein großer Trost darinn, eine Wiederlegung der Materialisten? Ist es dadurch nicht klar, daß wenn die Seele wieder frei von dem desorganisierten Körper ist, sie ihre Kraft wieder besitzen wird!«
Die zahlreichen Besuche Christoph Theodor Schwabs, die am 14. Januar 1841 begannen und bis kurz vor Hölderlins Tod im Juni 1843 fortgesetzt wurden, standen als emotionale Basis einer »größeren Arbeit, die vorerst im Pulte bleibt«, wie der Vater notierte, der 1826 zusammen mit Ludwig Uhland die erste Ausgabe der Hölderlinschen Gedichte – die vorher größtenteils nur verstreut in Almanachen und Taschenbüchern erschienen waren – herausgegeben hatte. In der zweiten verbesserter Auflage der Gedichte 1842 (datiert 1843) fand erstmals ein biographischer Versuch Platz, den Gustav Schwab zusammen mit seinem Sohn verantwortete und der sich weithin an der Lebensskizze Karl Goks, des Stiefbruders Friedrich Hölderlins hielt: Die Lebensumstände des Dichters. Aus den Mittheilungen seines Bruders und seiner Freunde. Christoph Theodor Schwab hatte den Verleger Cotta darum gebeten, daß »ein Exemplar gebunden werde …, in welchem der Lebenslauf wegbliebe«. Mit Johann Georg Fischer und Karl Auberlen stattete Christoph Schwab am 27. Januar 1843 einen Besuch bei Hölderlin ab und überreichten das Buch. Der Dichter dankte und bemerkte das Buch durchblätternd: »Ja, die Gedichte sind echt, die sind von mir; aber der Name ist gefälscht, ich habe nie Hölderlin geheißen, sondern Scardanelli oder Scarivari oder Salvator Rosa oder so was.«
Christoph Theodor Schwab begann die Redaktion seiner Studie Hölderlins Leben im Frühsommer 1846 für die zweibändige Ausgabe der Sämmtlichen Werke, die bei Cotta, Stuttgart und Tübingen in Druck ging. Dabei konnte er sich natürlich auf seine eigenen älteren Materialien und die väterliche Hilfe stützen. Die Biographie ist von der Liebe und Ehrfurcht getragen, die Schwab im Vorwort der Ausgabe schreiben läßt: »… daß durch diese neue Ausgabe … der Dichter, einer unserer größten Lyriker, immer mehr bekannt werde, daß seine Kraft und seine Tiefe, sein Geist und sein Adel, seine Zartheit und Milde … die Anerkennung und den Ruhm finden, der ihnen gebührt«. Trotzdem ging es nicht ohne die verlegerische Mahnung, das versprochene Manuskript auch termingerecht abzuliefern. Der Verlag erinnert am 13. Juli: »Die möglichst schnelle Beendigung von Hölderlins Schriften liegt uns sehr am Herzen und es ist unser dringender Wunsch, dieselben längstens Anfang September ausgeben zu können. Würden Ew. Hochwürden durch Lieferung des noch wenigen übrigen MS’s diesen Wunsch erfüllen, so würden Sie uns sehr verpflichten«. Drei Tage später schreibt Christoph Theodor an den Vater Gustav Schwab: »Hier schicke ich endlich die zweite Lieferung von Hölderlins Leben, es hat sich etwas mehr gedehnt, als ich dachte; aber nun ist nur noch ein kleines Stück, das bald nachfolgen wird, bestehend in einer Schilderung des Wahnsinns, wie ich ihn gesehen habe, u. in Abschriften von Gedichten aus der Periode der Sinnesverwirrung.« Noch im September 1846 begann der Druck des zweiten Bandes mit der Biographie.
Walter Benjamin rechnete Schwabs Hölderlinarbeit zu »den großen gründenden Dichterbiographien«. Vorgeworfen hat man ihr gleichwohl oft die Distanzlosigkeit gegenüber den harmonisierenden Berichten des Halbbruders Gok, die ein »geschöntes« Hölderlinbild tradierten. (So forderte Karl Gok bereits 1821 für die 1826er Edition der Gedichte Hölderlins, »daß ein angemessenes Vorwort das Interessanteste über Hölderlins Leben mit der möglichst zarten Berührung seines unglücklichen Schicksals liefert«.) Wenn in Schwabs Biographie gegenüber dem Manuskripte von zweien Sätzen wie im folgenden Beispiel nur der erste gedruckt wurde, mag man den begrab’nen Spielmann in diesem Idealisierungsversuch – der genau gelesen nicht ohne Kritik en detail einherging – suchen: »Unanständigkeit und Cynismus war nie an ihm zu bemerken, er zeigte vielmehr überall das feinste Gefühl für Schicklichkeit und Anstand. Nur zum Nägelschneiden muß man ihn wie ein eigensinniges Kind zwingen.« (vgl. unsere Ausgabe S. 73) Eine andere fortgelassene Stelle im Manuskript des Sohnes Gustav Schwabs – der der Nachwelt mit seinen Werken Schönste Sagen des klassischen Altertums und Deutsche Heldensagen noch immer vertraut ist – berichtet: »Auch während der Nacht tobte er häufig, und ging dann in seinem Zimmer auf und ab; doch sind diese Anfälle bei weitem nicht mehr so heftig, wie in früheren Jahren; denn damals kam es nicht selten vor, daß er die Tischlergesellen grün und blau schlug. Später blieb es beim heftigen Reden, Stampfen, Schreien.«