Beschreibung
Aus dem Nachwort von Bettina Blumenberg:
»Als Henry James diese Erzählung 1888 schrieb, hatte er seine literarische Technik zu einer Vollkommenheit verfeinert (…). Die Indirektheit seines Stils, der Anspielungsreichtum und die stetig sich verknappende, immer komplexer werdende Sprache, die er gern einem Erzähler in den Mund legte, gar nicht zu reden von der Rigorosität und Unerbittlichkeit seiner Ironie, mit der er seinen Figuren zu Leibe rückte, hatten ihn zunehmend zu einem Autor für literarisch Gebildete gemacht, so hieß es, lieber möchte ich sagen, für Lesende, die an der kleinen Mühe der Entschlüsselung, am Gedankenspiel des erhellenden Lesens Lust haben. Gerade bei dieser Erzählung drängt sich die Empfindung auf, dass die Lust am Text Ersatz für die im Text selbst nicht gebotene, ja verweigerte Lust ist. Denn neben der Zuspitzung seiner literarischen Methode führt James hier auch eines seiner Lebensthemen zu einem Höhepunkt: das nicht gelebte Leben, nenne man es auch das verfehlte, verspielte, verhinderte, das freudlose.
Nirgendwo vollzieht er die Durchführung des Motivs so rückhaltlos auf allen Ebenen, so variantenreich nicht nur in der Darstellung der Personen und ihres stets irrigen Tuns, sondern sogar in Bezug auf den Ort der Handlung und seine Schauplätze, die immer Kulisse sind. Welch eine Kunst der Auslassung oder der Unterlassung, Venedig zur Bühne des Geschehens zu machen und die Lagunenstadt völlig ihrer romantischen Allusionen und kulturellen Accessoires zu entkleiden, so dass nichts als düstere Kanäle, ein verfallender Palazzo und ein unwirtlicher Lido übrig bleiben, eine Stadt, die ansonsten aus dem Markusplatz mit Café Florian besteht, außerhalb dessen man sich hoffnungslos verläuft. Welch eine Kunst, einer Stadt wie Venedig eine solche Seelenkälte einzuhauchen, denn Seelenlandschaft ist hier alles.«
Henry James, wurde am 15. April 1843 in New York geboren und starb am 28. Februar 1916 als naturalisierter Engländer in Chelsea in England.
Henry James stammte aus einer wohlhabenden Familie (»die es sich seit zwei Generationen nicht mehr hatte zuschulden kommen lassen, auch nur eine Hand im Geschäftlichen zu rühren«) mit vier Geschwistern. Sein Vater war Religionsphilosoph und Privatgelehrter, seine Mutter eine tatkräftige Dame, die den Clan resolut zusammenhielt.
Henry Jr. reiste bereits in jungen Jahren mit Vater und Brüdern durch Europa, lebte in London, Paris, Bologna, Genf und Bonn, wo er auch seine schulische Ausbildung erhielt. Geprägt von seiner intellektuell anspruchsvollen Familie mit den stets konkurrierenden männlichen Mitgliedern, darunter dem älteren Bruder William James, einem später sehr anerkannten Psychologen und Philosophen, und einer Schwester mit beklagenswertem Schicksal – bei gleichwohl matriarchalischer Struktur, war doch die verehrte Mutter die dominierende Gestalt im exzentrisch-weltfernen Haushalt –, las er von früher Jugend an die Klassiker der europäischen Literatur, mit hoher Wertschätzung für die russische aber besonderer Vorliebe für die französische, und besonders begeisterte er sich für Balzac.
Bis 1872 pendelte er zwischen dem neuen und dem alten Kontinent hin und her, verließ Amerika aus Enttäuschung über die geringe Anerkennung in seinem Heimatland und die grundsätzlich von ihm als ignorant empfundene Haltung allen Künsten und Künstlern gegenüber, und ließ sich zunächst in Paris nieder. Von dort aus reiste er viel durch Europa, vor allem Italien, und machte England 1875 endgültig zu seiner neuen Heimat. Erst 1905 kehrte er zum ersten Mal in seine Heimatstadt New York zurück. In seinen ersten europäischen Jahren war sein vorrangiges literarisches Thema das Porträt von im Ausland lebenden Amerikanern und der Gegensatz der Lebensweisen und Kulturen. In dieser Schaffensphase entstanden die Werke Roderick Hudson (1876), Die Amerikaner (1877), Daisy Miller (1879) und Bildnis einer Dame (1881).